Wie können die verschiedenen Herausforderungen der Führung angegangen und die Energien in Balance gebracht werden? Das Buch «Achtsam führen: eine Orientierungshilfe im Unternehmensalltag» von Jörg Krissler zeigt dies auf.
Die Rose des Führungskompasses verweist auf die Kardinalpunkte Ich, Du, Wir und Es und damit auf die vier Handlungsebenen des achtsamen Führens:
- Für sich selber sorgen
- Für gute Beziehungen sorgen
- Für eine konstruktive Gruppendynamik sorgen
- Für das Erreichen der Ziele sorgen
Der Kompass integriert wesentliche Führungsaspekte und verdeutlicht einerseits die Verhältnisse, in denen sie zueinanderstehen, andererseits ihren Bezug zu anderen Bereichen sowie ihre Beeinflussung durch äussere Faktoren. Zu diesen zählen betriebsinterne Bedingungen ebenso wie Megatrends, die die Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gleichermassen bewegen. Auf diese Tendenzen kann Führung nur reagieren, wenn sie sich ebenfalls bewegt und einen adäquaten Stil findet. Ist sie achtsam, wird sie den laufend steigenden Anforderungen und der zunehmenden Unübersichtlichkeit des Marktes eher gerecht.
Achtsame Führung trägt wesentlich zum eigenen Wohlbefinden bei, sorgt für ein wohlwollendes Betriebsklima und wirkt sich dadurch günstig auf die Wettbewerbsfähigkeit einer Unternehmung aus. Im Buch illustrieren Fallbeispiele ihre Umsetzung in der Praxis. Ausserdem kommen verschiedene Führungspersönlichkeiten zu Wort. Sie beziehen sich auf die einzelnen Bereiche des Führungskompasses und zeigen so den Facettenreichtum der achtsamen Führung auf. Die Leitfragen zu jedem Kapitel unterstützen den Transfer in den eigenen Führungsalltag.
Leseprobe
Herausforderung des Marktes
Die Bedeutung von Arbeit hat sich stark gewandelt und damit auch die Erwartung an Arbeitgeber, die Unternehmen. In Branchen mit Fachkräftemangel buhlen Arbeitgeber ideenreich um die verfügbaren Talente, und zwar um neue Mitarbeitende wie auch um Führungspersonen. Den Slogan «We like to entertain you» kennen wir aus der Unterhaltungsbranche. Firmen, die diese Haltung übernehmen, werden es leichter haben, vor allem junge Menschen für eine Zusammenarbeit zu begeistern. Das versprochene Entertainment wird in Form einer aussergewöhnlichen Beziehungskultur, eines ausgeprägt attraktiven Arbeitsplatzes, besonders flexibler Zeitmodelle oder spezifischer individueller Rahmenbedingungen eingelöst. Der Kreativität sind diesbezüglich kaum Grenzen gesetzt. Der Arbeitsplatz wird zu einer Dienstleistungsdrehscheibe der Selbstverwirklichung – für jene, die es verstehen, aufzuspringen und sich dem Tempo anzupassen. Dem gegenüber berufen sich vor allem ältere Arbeitnehmende eher auf Stabilität und Kontinuität, was ebenfalls eine wichtige Qualität darstellt. Das Nebeneinander von Modellen, Kulturen und Anschauungen am Arbeitsplatz ist die grosse Herausforderung unserer Zeit. Es ist nicht einfach, so viele unterschiedliche Energien in Einklang zu bringen.
Für sich selber sorgen
Dass die Resilienz eher abgenommen hat, lässt sich auch mit dem Phänomen des Bedeutungsverlustes erklären. Früher haben Religionen und autokratische politische Systeme die Ordnung, zum Teil mit Gewalt, durchgesetzt. Das hat einerseits die Bewohnerinnen und Bewohner zwar entmündigt, gleichzeitig aber eine gemeinsame anerkannte Ausrichtung geschaffen. Damit war genügend Sinnhaftigkeit gegeben, und die Frage nach der Bedeutung von Schicksalsmomenten stellte sich kaum. Die Verantwortung wurde Autoritäten übertragen, und das System gab gefällige Antworten. Diese vereinfachte Resonanz fehlt heute weitgehend. Viele Menschen wollen selbstwirksam sein, also etwas bewirken können und das Leben in die eigene Hand nehmen. Es liegt nun in der Eigenverantwortlichkeit jedes und jeder Einzelnen, für Sinnhaftigkeit zu sorgen. Der Drang, alles zu tun, und die Angst, etwas zu verpassen, haben der gesamten Genusskultur grossen Zulauf beschert. Die äusseren Reize laden zunehmend ein, sich von den wahren inneren Anliegen zu entfernen.
Für gute Beziehungen sorgen
Einzelbeziehungen basieren auf einer inneren Absichtserklärung. Damit beginnt die Beziehung bereits vor dem Moment des tatsächlichen Aufeinandertreffens. Wir entscheiden mit unserer Einstellung unbewusst früher, wie die folgende Begegnung gestaltet sein wird. Die bewusste neugierige, offene Haltung und die Bereitschaft, sich selbst in seiner Individualität preiszugeben, führt uns in einen reichen Austausch mit der anderen Person und schafft eine frühe Beziehungsstabilität.
Kleine Fehlschaltungen in jungen Beziehungen können jedoch an den Grundfesten der eben geschaffenen Vertrauensatmosphäre rütteln. Oft sind es vermeintliche Banalitäten, die zu Spannungen führen. Wie häufig wird doch versehentlich ein Name falsch ausgesprochen oder falsch geschrieben? Wie schnell ist es passiert, dass eine Kollegin oder ein Kollege am Morgen nicht begrüsst oder eine spezifische Leistung nicht beachtet und wertgeschätzt wird? Es sind nicht die grossen Dinge, sondern solche Kleinigkeiten, die wesentlich über die erfolgreiche Beziehungserhaltung entscheiden. Daher verlangen sie eine ausgeprägte Aufmerksamkeit der Vorgesetzten in ihrer Vorbildrolle. Auch ein ehrliches «Entschuldigung» wirkt manchmal Wunder.
Für eine konstruktive Gruppendynamik sorgen
Die Dynamik verändert sich durch die An- oder Abwesenheit des Chefs oder der Chefin. Vorgesetzte sind gut beraten, nicht so zu tun, als seien sie gegenüber den Menschen, die sie führen, in ihrer Fachlichkeit gleich. Sie sind es nicht, weil sie andere Rollen einnehmen. Hier wird die Rollendifferenzierung von Führungsbeauftragten deutlich. Ihre Aufmerksamkeit hat sich einerseits nach innen zum Team zu richten, mit koordinierender, regulierender und führender Funktion, sowie nach aussen zu Auftraggebern, anderen Abteilungen, Lieferanten und Kunden als Auftraggeber, Auftragsempfänger und Koordinatoren. Damit hat der oder die Vorgesetzte permanent auf die Balance zwischen Nähe und Distanz sowohl zwischen dem Innen und dem Aussen als auch innerhalb der beiden Systeme zu achten. Die Teammitglieder begegnen ihren Vorgesetzten häufig mit einer Portion Misstrauen, weil teilweise intransparent bleibt, was ausserhalb ihres Systems, der Abteilung, geschieht und welche relevanten Informationen zusätzlich fliessen. Vertrauen schaffen sich Vorgesetzte, indem sie diesen Umstand anerkennen und ihre Informationsverantwortung inhaltlich und zeitlich sehr sorgfältig, direkt und empathisch tragen.
Für das Erreichen der Ziele sorgen
Einzelne Mitarbeitende wünschen sich einen hohen Selbstbestimmungsgrad. Andere zeigen situativ stärkere Bedürfnisse nach Klarheit und deutlichen Vorgaben. Beides ist in Ordnung, dem gerecht zu werden, aber nicht ganz einfach. Es braucht dazu Individual- sowie Teamziele. Letztere können, unabhängig davon, ob sie über eine Arbeitsgruppe oder sogar über mehrere Einheiten vereinbart werden, Spannungsfelder ausräumen und das Mikrodenken reduzieren helfen. Dem steht aber der Anspruch des Individuums nach Einzigartigkeit gegenüber. Deshalb liegt die wirksamste Lösung im Anerkennen beider Qualitäten. Gut austariert und sinnvoll zugeordnet, lassen sich die Ansätze bestens kombinieren. Achtsame Führung rechnet sich auch wirtschaftlich.