Ist die Weiterbildungsbranche an einem Scheideweg angelangt oder einfach nur in einem vorübergehenden «Krisenmodus»? Die Anbieterbefragung 2020/21 des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung SVEB liefert Hinweise. Wir haben mit Daniel Herzog, CEO der Lernwerkstatt Olten – einem der Marktführer im Bereich Erwachsenenbildung – darüber gesprochen.
Die Anbieterbefragung 2020/21 des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung SVEB widmete sich den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Weiterbildung. Die Ergebnisse der Anfang Jahr publizierten Weiterbildungsstudie zeigen, dass die Krise die Weiterbildungsbranche hart getroffen, gleichzeitig aber auch die Digitalisierung der Angebote vorangetrieben hat. Das sei genau der springende Punkt, sagt Daniel Herzog, CEO der Lernwerkstatt Olten – einem der Marktführer der Branche. Denn hier trennt sich die Spreu vom Weizen, was die wirtschaftlichen und strukturellen Konsequenzen für die Anbieter betrifft.
Der SVEB hatte schon im Sommer 2020 erstmals quantitative Daten zu den Auswirkungen auf die Weiterbildung in der Schweiz erhoben. Untersucht wurde der Einfluss der Corona-Pandemie in vier Bereichen: wirtschaftliche Situation, Personal, Teilnahme/Nachfrage und Angebot. Die Ergebnisse basieren auf der Einschätzung von 549 Weiterbildungsanbietern zum Befragungszeitpunkt im Juli und August 2020. Die Weiterbildungsstudie des SVEB ist die einzige periodische Befragung von Weiterbildungsanbietern in der Schweiz. Neben einem jährlich wechselnden Fokusthema erfasst die Studie auch Strukturdaten zum Weiterbildungsbereich. Diesen Frühling 2021 folgte eine Nachbefragung, deren Ergebnis noch aussteht.
Die Stunde der Wahrheit …
Erste Erkenntnisse: Infolge der Corona-Pandemie hat sich die wirtschaftliche Situation der Weiterbildungsanbieter deutlich verschlechtert. 56 Prozent der Weiterbildungskurse mussten während des Präsenzverbotes von Mitte März bis Anfang Juni abgesagt werden. Für das ganze Jahr 2020 wurde im Sommer damit gerechnet, dass ein Viertel des Angebots nicht durchgeführt werden könnte. Zudem erwarteten die Anbieter mehrheitlich eine sinkende Nachfrage und Umsatzeinbussen von durchschnittlich 28 Prozent bis Ende des Jahres. Auch der Bedarf nach finanzieller Unterstützung stieg infolge der Corona-Krise stark an. Mehr als die Hälfte der Weiterbildungsanbieter hat in den ersten Monaten der Pandemie auf mindestens eine zusätzliche Finanzierungsquelle zurückgegriffen. Am meisten genutzt wurde die Kurzarbeitsentschädigung – fast jeder zweite Anbieter führte bis Juli/August Kurzarbeit ein.
… als sich die sich Spreu vom Weizen trennte
Trotz oder vielleicht gerade aufgrund des dreimonatigen Präsenzverbots brachte die Corona-Pandemie Bewegung in die Weiterbildung und trieb die Digitalisierung voran: 85 Prozent der Anbieter passten ihr Angebot an, wobei die weitaus häufigste Anpassung den Einsatz digitaler Technologien betrifft. Zahlreiche Kurse wurden mithilfe von Videokonferenz-Software wie Zoom oder Microsoft Teams teilweise oder ganz auf online umgestellt. Nach dem Ende des Präsenzverbots wurden diese Angebote partiell beibehalten oder in Kombination mit Präsenzunterricht weitergeführt.
Eine offene Frage ist, ob dieser Digitalisierungsschub während der Pandemie die Weiterbildung nachhaltig verändern wird. Einen Hinweis, dass es sich bei den neuen Online-Angeboten nicht nur um kurzfristiges Krisenmanagement handelt, könnte die Tatsache sein, dass über 80 Prozent der Anbieter die angepassten Angebote ganz oder teilweise in ihr ständiges Programm aufnehmen wollen. Der langfristige Erfolg der Digitalisierung hängt aber letztlich stark von der Qualität der Angebote sowie der Entwicklung der Nachfrage ab. Eine zentrale Herausforderung dieser Situation ist die Frage, ob es gelingt, aus dem Krisenmodus der beschleunigten Digitalisierung in einen neuen, nachpandemischen Modus der digitalen Transformation zu wechseln.
Daniel Herzog im Interview
Daniel Herzog, die Lernwerkstatt bietet Weiterbildungen in der Erwachsenenbildung sowie in Coaching und Mentoring an. Inwiefern konnten oder können Sie Ihr Weiterbildungsangebot unter den gegebenen Vorzeichen noch aufrechterhalten?
Daniel Herzog: Wir hatten bereits vor einem Jahr im März innerhalb weniger Tage unser gesamtes Angebot auf virtuellen Unterricht umgestellt. Die Verunsicherung bei vielen Interessierten war zunächst da, aber dank eines sehr guten Vorbucherstandes konnten wir – bis auf einen – alle Lehrgänge durchführen. Bis heute haben wir weit über 1’000 Personen im virtuellen Unterrichts-Setting begleitet. Nachträglich betrachtet war das Jahr 2020 sogar das erfolgreichste in unserer Geschichte.
In der aktuellen Anbieterbefragung des SVEB ist zu lesen, dass knapp 70 Prozent der Weiterbildungsanbieter für das Jahr 2020 eine sinkende Nachfrage für ihre Bildungsangebote erwarten. Sie haben es schon angedeutet: Die Nachfrage hat bei Ihnen wohl mittelfristig nicht nachgelassen…
Dank unserer raschen Umstellung auf virtuellen Unterricht wurden wir in der Branche schnell zum Benchmark im Umgang mit der Krise. Dies hat sich schnell herumgesprochen. Die Teilnehmenden wählen uns heute auch, weil sie wissen, dass ihr Lehrgang stattfinden wird, egal was passiert. Dadurch verzeichneten wir 2020 ein neues Rekordjahr, und dies trotz Pandemie. Wir bildeten im Lehrgang SVEB-Zertifikat erstmals über 1’000 Personen aus. Die Teilnehmerzahlen in den Coaching-Lehrgängen haben sich in der gleichen Zeit verdreifacht.
In der erwähnten Studie wird zudem festgestellt, dass 85 Prozent der Anbieter ihr Angebot infolge der Pandemie angepasst hätten. 90 Prozent der Weiterbildungsinstitutionen hätten teilweise oder vollständig auf online umgestellt. 90 Prozent haben zudem angegeben, dass die Corona-Pandemie sie dazu angeregt habe, Neues zu entwickeln.
Das war bei uns auch so. Die Lerninhalte blieben jedoch oft gleich, da wir auf eidgenössische Abschlüsse vorbereiten. Wir sind aber eben auch bekannt für einen aktiven und abwechslungsreichen Unterricht. Wir bilden ja Erwachsenenbildner/innen, Coaches und Mentoren aus. Das ist eine Verpflichtung, und so sollen unsere Lehrgänge den Teilnehmenden gleich als Beispiel eines guten Unterrichts dienen. Auch in der virtuellen und hybriden Form. Unsere Unterrichtspläne haben wir in Kürze alle auf das neue virtuelle Unterrichts-Setting angepasst und das Kursleiterteam entsprechend geschult.
Man spricht nach einem Jahr Pandemie von der grassierenden «Zoom Fatigue». Kann ein reines Online-Angebot auch eine Bereicherung sein oder wird es bald zu mühsam für die Studierenden und Teilnehmenden?
Im ersten Lockdown waren die Kunden anfänglich eher skeptisch, aber grundsätzlich froh, dass sie ihre Ausbildungsziele unterbruchsfrei an den vorgesehenen Terminen weiterverfolgen konnten. Wir haben mit Testmeetings, Videoanleitungen – die beide auf unserer Webseite aufrufbar sind – und einer Helpdesk viel investiert, um den Teilnehmenden den Einstieg in die neue Bildungswelt sehr einfach zu ermöglichen. Bereits nach dem ersten Ausbildungstag sind unsere Kunden jeweils sehr erstaunt, teilweise sogar begeistert, wie aktiv und abwechslungsreich man virtuellen Unterricht gestalten kann. Viele schätzen, dass sie nun quasi on the top noch lernen, wie man virtuell unterrichten kann.
Hat Sie die Pandemie auch dazu angeregt, «Neues zu entwickeln»?
Die Lernwerkstatt Olten hat in den letzten Jahren die Digitalisierung im Bildungsbereich bereits aufgenommen und unter dem Brand www.digital-training.ch ein Angebot zur digitalen und virtuellen Unterstützung von Lern- und Coachingprozessen aufgebaut. Während der Pandemie haben wir nun zusätzlich einen noch nie dagewesenen Innovationsschub erlebt. Alle unsere 90 Kursleitenden sind heute fit im virtuellen Unterrichten. Wir haben unter dem Brand www.live-webinare.ch 33 verschiedene Webinare rund um das digitale und virtuelle Unterrichten und Coachen entwickelt. Diese Webinare waren zuerst zur Weiterbildung unserer eigenen Kursleitenden gedacht, sind nun auch öffentlich zugänglich und erfreuen sich einer sehr grossen Nachfrage.
Ende 2020 haben wir ein hybrides Unterrichtssetting konzipiert, welches wir anbieten werden, sobald Präsenzunterricht wieder erlaubt ist. Ganz nach ihren Bedürfnissen sind dann die Teilnehmenden live im Seminarraum dabei, oder sie beteiligen sich aktiv via Videokonferenzsystem Zoom am Unterricht. Infoveranstaltungen und Beratungen können nun seit knapp einem Jahr auch virtuell besucht werden. Wir haben auch alle Geschäftsprozesse digitalisiert, aktuell steht noch die Umstellung auf Telefonie über VOIP an. Ende Februar waren wir so weit, dass es vor Ort in Olten grundsätzlich keine Mitarbeitenden mehr benötigen würde und wir den ganzen Schulbetrieb orts- und zeitunabhängig zu hundert Prozent vom Home Office aus managen könnten.