Es ist eigentlich erstaunlich, wie wenig Aufmerksamkeit der Stimme in der Beratung und Beratungsausbildung zukommt – wo sie doch das tragende Arbeitsinstrument ist. Eine gezielte Arbeit mit der Stimme verhindert nicht nur Ermüdung, Heiserkeit und ähnliches, sondern sie stärkt den ganzen Körper und unterstützt die Persönlichkeit. Es ist an der Zeit, ihre grosse Bedeutung wahrzunehmen.
Der Stimme kommt in der Beratungstätigkeit eine bedeutende Rolle zu
Nicht nur, was wir sagen, ist entscheidend, sondern auch, wie wir etwas zum Ausdruck bringen. Monotone, farblose Stimmen wirken ermüdend; eine kontrastreiche Stimme hingegen weckt Interesse und wird gehört.
Die Stimme ist Ausdruck der Persönlichkeit. In Beratungssituation ist sie das erste zentrale Arbeitsinstrument – werden ja die meisten Beratungen mündlich durchgeführt. Die Stimme von Beratungspersonen ist stundenlang im Einsatz. Sie ist Kommunikationsmittel und eine Art Visitenkarte der Beratungspersönlichkeit.
Wir gehören also eigentlich zu den Stimmprofis und die Stimme ist ein wichtiger Teil der Professionalität – und doch nehmen die meisten Sprechenden wenig vom Potenzial ihrer Stimme wahr. Wer sich dagegen ihre Bedeutung im Beratungsalltag vergegenwärtigt, wundert sich, dass die Stimme in sprechenden Berufen kein grosses Thema ist. Wer die eigene Stimme bewusst wahrnimmt und pflegt, kann sich das Leben als Berater/in vereinfachen. Umgekehrt kann die Stimme die Arbeit sabotieren. Dazu drei Beispiele – Akquise, Einzelsupervision und Gruppensetting – aus meiner Stimmcoach-Praxis.
Wenn die Stimme zum Hindernis wird
Theo hat den ersehnten Auftrag nicht erhalten, obwohl er das Gespräch mit dem Kunden fachlich minutiös vorbereitet hat. Frau Grünenmeyer hat ihn bekommen. Theos Stimme klang monoton, deswegen verblasste seine Persönlichkeit. Im Gegensatz dazu hörte sich Frau Grünenmeyer klangvoll und energisch an. Kein Wunder, denn sie praktiziert seit Jahren Yoga – wohingegen Theo viel sitzend arbeitet und seinem Körper kaum Bewegung gönnt.
Körperliche Steifheit und Ungelenkigkeit sind Ausdruck von Verspannung. Ist der Brustkorb eng, fehlt der freie Atem. Die Stimme tönt leicht erhöht, kratzig und hat einen monotonen Ausdruck. Theos Stimme hat seine Müdigkeit statt seine Persönlichkeit gezeigt.
Die Supervisorin Carla ist heiser. Wir müssen ja nicht singen, denkt sie, sondern Majas Fall verstehen. Es geht darum, Maja die richtigen Fragen zu stellen, und ob das mit heiserer Stimme passiert oder nicht, ist nicht von Belang, tröstet sich Carla. Aber die Sitzung bleibt fade, den guten Fragen zum Trotz. Maja räuspert sich immer wieder und scheint irgendwie resigniert.
Die Qualität der Beratung sinkt, wenn das Instrument nicht in Ordnung ist. Die Kommunikation mit einer heiseren Beratungsperson ist eine Qual für die Coachees. Die eigene Stimme passt sich dem Gegenüber an. Die Kinder erlernen die Stimme intuitiv durch das Nachahmen. Dieses Imitieren der Stimme ist nach der Kindheit nicht vorbei, und es lässt sich auch in Beratungssituationen gut beobachten. Spricht das Gegenüber heiser, tendieren die eigenen Stimmbänder dazu, die Bewegungen der heiseren Stimme nachzuahmen, man beginnt zu husten und sich zu räuspern. Nach einer Stunde Coaching fühlt auch der Coachee einen Frosch im Hals. Kommt hinzu: Die Coachees nehmen die Stimme der Beratungsperson im Ohr mit nach Hause.
Elisabeth findet grosse Räume mühsam. Sie erkennt solche «schlechten» und «schwierigen» Räume sofort, denn darin gibt ihre Stimme bereits nach einer Stunde nach. Es kam schon vor, dass sie sich bei der Gruppe entschuldigte, weil sie zu leise sprach und weil ihr das Sprechen schwerfiel. Ihre Stimme hält der Belastung in trockenen und grossen Räumen nicht stand; sie verliert sich darin und geht bald verloren.
Eine Gruppe einen Tag lang anzuleiten ist eine grosse Leistung für die Stimme. Die trockenen und grossen Räume sind eine weitere Herausforderung. Doch am meisten machen einer Stimme trockene Schleimhäute zu schaffen, mit welchen das Stimmband als Muskel bedeckt wird. Auch das häufige Einatmen durch den Mund ist für sie ungünstig. Die Anstrengung, aus der Trockenheit heraus genug Klang zu erzeugen, führt zu einer Überspannung der Stimmbänder. Die Lautstärke wird forciert und der Klang wird unnatürlich hoch, leise, brüchig. Wenn die Stimme leidet, verliert sie an Energie und erreicht die Zuhörenden nicht.
Die Stimme pflegen
Was tun? Was Theo als erstes hilft, ist ein Saunagang. Als Fortsetzung eignen sich Schwimmen und Joggen gut.
Carla bekommt ihre Heiserkeit schnell in den Griff mit Hilfe einer Salzlösung, welche sie einerseits zum Halsgurgeln benutzt und andererseits um die Nasenschleimhaut durchzuspülen. Auf keinen Fall soll sie Kamillentee trinken, denn ihre Stimme braucht Befeuchtung, Pflege und Schweigen.
Was Elisabeth hilft, ist, ihre Stimme aus dem Hals tiefer in den Körper zu bekommen. Hier helfen wenige Atem- und Körperübungen. Ihre Stimmbänder werden dadurch entlastet, die Lautstärke reguliert sich automatisch. Wenn sie einmal ihren Körper voller Klang erlebt hat, wird sie es leicht im Alltag umsetzen können.
Die eigene Wahrnehmung ist bei Beratungspersonen ein Kompetenzfeld und zusammen mit dem Fokus auf die eigene Stimme eröffnet das eine neue Selbstwahrnehmung.
Die Stimmkompetenz wird durch das Wahrnehmen, Ausprobieren und Reflektieren gelernt. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Stimmerfahrung – ich nenne dies «die Stimmbiografie» – lohnt sich auf jeden Fall, denn darin liegen Ressourcen verborgen. Im Stimmcoaching wird die unbewusste «Soft Skill» Stimme entdeckt, entwickelt und unterstützt. Die Mittel dazu sind individuell und vielfältig:
Wer einen ganzen Tag sprechend arbeitet, hat eine kleine Stimm-Apotheke bei sich, darin sind Lutschtabletten für den Hals und Befeuchtungsspray für die Nase.
Durch das Zusammenspiel der Denk-, Atem- und Puls-Rhythmen wird eine Verlangsamung vorgenommen, nicht zuletzt um die Stimme zu schonen. Wenn die Beratungspersonen und Kursleitenden den Atem-Rhythmus-wechsel, also schnelles oder langsames Ausatmen, beherrschen, gewinnt die Stimme an Charme und Ausdruckskraft.
Und natürlich Singen. Die Singenden kennen hohe, mittlere und tiefe Resonanzräume aus der Stimmkunst der Belcanto. Darin bilden sich auch die Klangfarben der Sprechstimme: der aktivierende Klang oben (wie ein Wachmacher), der nüchterne informative in der Mitte (wie bei einer Nachrichten-Moderatorin) und die tiefgreifenden Aussagen unten im Brustraum (wie eine Detektiv-Stimme, analytisch und neugierig). Neugierde, Angst, Vorsicht, Freude – die Klangfarben entsprechen den Stimmungen.