Jugendliche brauchen Grenzen und Begleitung auf ihrem Weg in die Berufswelt. Gleichzeitig wollen Lernende viel Freiheiten und am Liebstem das machen, worauf sie gerade Lust haben.

Wie wollen wir mit diesem Zielkonflikt umgehen? Setze ich bei meiner zu begleitenden Person genug und klare Grenzen? Werden diese auch vom ganzen Team gelebt? Machen diese Grenzen Sinn? Begleite ich sie richtig? Sind die Jugendlichen auf dem guten Weg zur «Marktfähigkeit»?

Jugendliche brauchen Personen, welche sie mit klaren eigenen Grenzen und vor allem einer starken Persönlichkeit begleiten. Hinter Grenzen stehen auch Werte – was ist mir wichtig? Kennen Sie ihre eigenen Grenzen? Wissen Sie wirklich, was Ihnen im Alltag wichtig ist? Welches sind Ihre Bedürfnisse und die Bedürfnisse der zu begleitenden Person?

Grenzen und Regeln klar kommunizieren

Es ist nicht die Aufgabe der zu begleitenden Personen diese Grenzen zu erahnen – sondern es ist unsere Aufgabe, Grenzen oder auch Regeln klar zu kommunizieren.

Wenn wir unsere lernenden Persönlichkeiten dazu ermutigen, selber Lösungen zu finden und so auch eigene «Lern»-Erfahrungen machen lassen, tragen wir einen grossen Beitrag zur Förderung der unterschiedlichsten Kompetenzen bei. Bei der neuen KV Reform 2022 ist die Selbstkompetenz viel stärker gewichtet. Beispielsweise gehört die gute Selbstorganisation dazu.

Erfolgserlebnisse beim Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse kann zur Stärkung des Selbstvertrauens führen. Gerade im heutigen Leben brauchen wir selbstständige im Leben stehende Persönlichkeiten. Jugendliche erleben auch Einschränkungen in ihrer Selbstentfaltung durch Grenzen oder einfach auch durch die alltäglichen «To Do Listen» in den verschiedenen gelebten Rollen bei der Arbeit, in der Schule, Freizeit und vieles mehr. Dann denken wir oft, sie sollten doch jetzt merken, dass «genug» ist, dass sie sich jetzt endlich auf das «Wesentliche» konzentrieren sollen. Was ist das Wesentliche für die zu begleitenden Personen? Oft besteht in dieser Tatsache schon ein Zielkonflikt. Es ist nicht die Aufgabe der zu lernenden Person Grenzen zu spüren, sondern es ist ganz klar unsere Verantwortung, diese klar und deutlich erkennbar zu machen.

Regeln, persönlichen Grenzen und eigenen Werte

Worin besteht der Unterschied zwischen Regeln und persönlichen Grenzen sowie eigenen Werten?

Menschliche Gesellschaften brauchen Regeln. Auch Betriebe oder Eltern welche Jugendliche auf ihrem Weg begleiten, brauchen klare «Spielregeln». Diese Regeln sind allgemeine und unpersönliche Grenzen.

Allgemeine Grenzen sind starr und klar geregelt. Sogenannte Spielregeln im Betrieb sollten von allen gelebt werden und Sinn machen. Lernende können diese Grenzen als Einschränkung ihres Bedürfnisses nach Freiheit verstehen (sich selber sein und tun was ihnen im Moment gerade guttut) oder sie begreifen diese Regel ganz einfach nicht, weil sie nicht sinnvoll ist. Lernende nehmen heute solche Regeln oft nicht einfach hin sondern hinterfragen oder geben ein (nonverbales) Zeichen von «nicht einverstanden zu sein». Wir denken dann – was ist mit der heutigen Jugend nur los? Dies braucht je nachdem viel Energie. Wenn Lernende so stark nach ihren Vorstellungen leben, bis sie an unsere Grenzen stossen oder an die Grenzen der Unternehmung.

Diese Grenzen sind bei den zu begleitenden Personen je nach Tagesform unterschiedlich und natürlich auch von Unternehmung zu Unternehmung anders. Je nach unserer eigenen Arbeitsbelastung haben wir mehr Geduld oder eben weniger.

Wichtig ist, dass wir diese Grenzen und unsere Werte jeweils selber wahrnehmen und klar kommunizieren.

Das Wertesystem beeinflusst unser bewusstes und unbewusstes Denken sowie tägliches Handeln. Wir haben alle einen sogenannten persönlichen «Werte-Massstab» und dieser regelt wie wir mit Situationen und Ereignissen umgehen. Diese Werte meiner zu begleitenden Person vorzuleben und dafür einzustehen, ist eine wundervolle tägliche Achtsamkeitspraxis für alle.

Praxisbeispiel zu persönlichen Grenzen und Regeln

Im folgenden Beispiel aus meinen eigenen Erfahrungen mit Jugendlichen zeige ich auf, wie wir mit allgemeinen oder persönlichen Grenzen auf ein Verhalten reagieren können.

Wenn meine Lernende Person am Vormittag lieber seine persönlichen Nachrichten auf seinem Handy beantwortet als die Arbeit zu beginnen, löst dies in mir ein genervtes Gefühl aus. Mich stört das heute, weil ich so viel Arbeit habe und nicht weiss, wie ich das alles schaffen soll. Nun kann ich mich entscheiden ein Verbot, eine sogenannte starre und äussere Grenze aussprechen > Handy-Verbot. So wird das Verhalten von Lernenden eingeschränkt. Ja klar ist das wichtig – wenn jedoch dem Lernenden genau dieses Verhalten guttut, um in den Alltag zu starten und er dennoch seine Tagesziele erreicht – warum soll er das nicht tun?

Bei einer persönlichen Grenze lernen Lernende etwas darüber, was mir wichtig ist, wie es mir gerade geht und sie lernen vorgesetzte Persönlichkeiten ernst zu nehmen.

Zieh ich eine persönliche Grenze, dann kann ich zu meiner zu begleitenden Persönlichkeit beispielsweise sagen: «ich bin gerade genervt darüber, dass du in aller Ruhe in dein Handy schauen kannst und ich habe heute eine sehr grosse Pendenzenliste. Mir ist wichtig, dass wir dies heute gemeinsam anpacken. So lernen Lernende, wie eigene Bedürfnisse formuliert werden können, wissen wie es mir gerade geht und lernen mich ernst zu nehmen, anstelle ein Verbot befolgen zu müssen.

Beim Ziehen von persönlichen Grenzen im Alltag mit Lernenden geht es darum, dass ich mich klar und deutlich ausdrücken kann – was mir gerade wichtig ist, ich vielleicht gerade jetzt an eine persönliche Grenze komme und was mir jetzt guttut und was nicht. Gleichzeitig nehme ich mein Gegenüber auch ernst. Er oder sie ist immer gut, genauso wie er oder sie ist.

Persönliche Grenzen brauchen Klarheit und eine grosse Portion Achtsamkeit.

Wir verstecken uns hinter der Rolle als «Chef» oder wir dürfen uns zeigen und zwar genau so wie wir sind.

Wenn Jugendliche merken, dass sie ernst genommen werden, dann sind sie mit dem Resonanz-Prinzip eher bereit unsere Grenzen ebenfalls ernst zu nehmen.

Jugendliche wollen uns nicht ärgern oder provozieren. Sie stehen einfach für das ein, was ihnen wichtig ist und überlegen dabei gar nicht gross. Sie wollen mit diesem Verhalten auch herausfinden, was uns wirklich wichtig ist und finden so Beziehungen und nicht starre Grenzen. So lernen wir miteinander achtsam und respektvoll umzugehen. Wir dürfen aus meiner Sicht die persönlichen Grenzen / Bedürfnisse von Jugendlichen noch viel mehr ernst nehmen.

Wie gut achten Sie auf Ihre Grenzen? Wie oft nehmen Sie persönliche Bedürfnisse erst zu spät wahr und sorgen so zu wenig für sich selbst? Kennen Sie die dahinterliegenden Werte, welche Ihnen im Leben wichtig sind? Kann es sein, dass Sie dann etwas «unbeherrscht» auf die Jugendlichen einreden? Wie ernst nehmen Sie die Jugendlichen?

Bei den Fragen am Schluss und dem Thema «Grenzen» wurde ich durch Maya Risch, Praxis für Beziehungskompetenz, inspiriert. Mit meinen zwei kleinen Kindern komme ich auch immer wieder an meine Grenzen und finde immer wie mehr Parallelen zur Arbeit mit Jugendlichen. Umso mehr ich mich mit mir beschäftige und was hinter meinen Werten steckt, umso gelassener werde ich im Alltag.

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