Das Schweizer Berufsbildungssystem gilt als Erfolgsmodell und wird weltweit bewundert. Warum sollten auch KMU Lernende ausbilden, und wie können die Berufseinsteiger/innen fit für die Zukunft gemacht werden?
Die Lernendenausbildung basiert auf den drei Säulen Lehrbetrieb, Berufsfachschule und überbetriebliche Kurse. An allen drei Ausbildungsorten sollen Handlungskompetenzen erworben werden. Wie schaffen dies kleinere und mittlere Betriebe? Wir sprachen mit der Berufsbildnerin Tamara Frei und der Praxisausbilderin Melissa Berber von der Lernwerkstatt Olten. Sie erzählen, warum die Lernwerkstatt Olten seit über zehn Jahren Lernende ausbildet und wie sie mit der Methode des Projektlernens die Handlungskompetenzen der Lernenden fördern.
Frau Frei, Frau Berber, aktuell bilden Sie vier Lernende in den Berufen Kauffrau/Kaufmann und Mediamatiker/in aus und haben somit eine Lernendenquote von 20%. Was ist der Grund, dass sich die Lernwerkstatt Olten in diesem Umfang für den Berufsnachwuchs engagiert?
Tamara Frei: Als Bildungsanbieter im Bereich Erwachsenenbildung, Coaching, Beratung und Personalmanagement betrachten wir es als zentrale Aufgabe, unser umfassendes Wissen und unsere langjährige Expertise an die nächste Generation weiterzugeben. Mit Leidenschaft und Engagement schaffen wir ein Umfeld, in dem junge Talente gefördert und gefordert werden. Unsere modernen und flexiblen Organisationsstrukturen sind gezielt darauf ausgerichtet, die individuellen Bedürfnisse und Potenziale jedes einzelnen Lernenden zu erkennen und optimal zu unterstützen.
Durch die aktive Betreuung bieten wir den Raum, sich beruflich zu entfalten und eigene Stärken zu entwickeln. Die jungen Talente bringen dabei nicht nur frischen Wind in unser Unternehmen, sondern bereichern uns auch mit ihrer Neugierde, ihren neuen Perspektiven und innovativen Ideen. Das Zusammenspiel von Erfahrung und Kreativität bereichert unser Unternehmen und ermöglicht es uns, stetig zu wachsen und innovative, zukunftsweisende Lösungen zu entwickeln.
Melissa Berber: Wir sind stolz darauf, durch die Ausbildung unserer Lernenden die Zukunft unserer Branche aktiv mitzugestalten. Mit ihrer Hilfe sichern wir nicht nur den Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften, sondern profitieren auch von ihren frischen Ideen und Kompetenzen. So tragen wir dazu bei, dass sowohl unser Unternehmen als auch die Lernenden langfristig erfolgreich sind.
Wie fördern Sie als KMU die Handlungskompetenzen Ihrer Lernenden und machen sie so fit für das Berufsleben?
Melissa Berber: Um als KMU die Handlungskompetenzen der Lernenden wirksam zu fördern und sie optimal auf das Berufsleben vorzubereiten, arbeiten die drei Lernorte, KMU, Berufsfachschule und überbetriebliche Kurse (üK) eng zusammen. Dabei werden die Handlungskompetenzen auf die verschiedenen Lernorte angepasst. In einem kleineren Unternehmen übernehmen die Mitarbeitenden oft mehrere Rollen und arbeiten in verschiedenen Bereichen. Für Lernende bedeutet dies, dass sie eine breite Palette an Fähigkeiten entwickeln können, was sie flexibler und anpassungsfähiger für den Arbeitsmarkt macht.
Angepasst auf die vorgegebenen Taxonomiestufen der jeweiligen Bildungspläne sowie auf individuelle Gegebenheiten wie Lerntyp und Persönlichkeitsmerkmale richten wir unsere Ausbildung möglichst praxisorientiert und dem Berufsalltag nah aus, wobei wir besonderen Wert auf Selbstständigkeit und eine vertrauensvolle Arbeitsumgebung legen. Um die Handlungskompetenzen praxisnah zu vermitteln, bieten wir den Lernenden die Möglichkeit, in verschiedenen kleineren und grösseren Projekten selbstständig mit ihren Erfahrungen aus der Berufsfachschule und im üK zu arbeiten. Diese Projekte sind so angelegt, dass sie den Lernenden die Chance geben, Verantwortung zu übernehmen.
Tamara Frei: Der regelmässige Austausch ist ein zentrales Element unserer Ausbildungsstrategie. Durch die Reflexion der durchgeführten Arbeiten und Aufgaben fördern wir die Weiterentwicklung der Lernenden. Diese Reflexion findet in regelmässigen Gruppen oder Einzelgesprächen statt, in denen die Lernenden ihre Erfahrungen austauschen, Feedbacks erhalten und gemeinsam mit ihren Berufs- und Praxisausbildnerinnen neue Ziele festlegen.
Insgesamt trägt dieser Ablauf dazu bei, dass die Lernenden während ihrer Ausbildung nicht nur Fachwissen, sondern auch wichtige Schlüsselqualifikationen erwerben, die sie zu kompetenten und verantwortungsbewussten Fachkräften machen.
Sie haben angetönt, dass Ihre Lernenden kleinere und grössere Projekte mitgestalten. Diesen Frühling haben die Lernenden der Lernwerkstatt Olten und des Hotels Arte firmenübergreifend den jährlichen Berufsbildungs-Event mitorganisiert. Was waren die Aufgaben der Lernenden?
Melissa Berber: Die Hauptaufgaben der Lernenden gliederten sich in drei Phasen: Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des Events.
In der Vorbereitungsphase erstellten die Lernenden den Einsatzplan für das Team und sorgten für eine reibungslose Kommunikation mit allen Beteiligten. Ausserdem waren sie für die Zusammenstellung der Unterlagen und Arbeitsmappen für die 186 Gäste verantwortlich und halfen tatkräftig beim Aufbau der Veranstaltungsinfrastruktur.
Während des Events kümmerten sich die Lernenden um das Fotografieren und Filmen, um die Veranstaltung zu dokumentieren. Sie betreuten die Gäste aktiv vom Empfang bis zur Verabschiedung und arbeiteten eng mit den Lernenden des Hotels Arte zusammen, die für das leibliche Wohl der Gäste sorgten.
In der Nachbearbeitungsphase standen die Auswertung der Teilnehmer-Evaluationen sowie die Bearbeitung der Bilder und Videos für einen gelungenen Rückblick im Fokus. Ausserdem verschickten sie die Take-Home-Messages an alle Teilnehmenden und übernahmen die Aufräumarbeiten. Hierbei legten sie besonderen Wert darauf, das Material für den nächsten Berufsbildungsevent vom September in St. Gallen abrufbereit einzulagern.
Welche Kompetenzen haben sich die Lernenden dabei angeeignet?
Tamara Frei: Unsere Lernenden konnten sich während der gesamten Organisation des Events umfangreiche Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen aneignen.
- Fachkompetenz: Einblicke in die Eventplanung und -durchführung, Umgang mit spezifischen Tools und Technologien.
- Methodenkompetenz: organisatorische Fähigkeiten, Aufgabenverteilung, Planung und Priorisierung der Aufgaben.
- Sozialkompetenz: Zusammenarbeit im Team, Kommunikation, gegenseitige Unterstützung.
- Selbstkompetenz: Verantwortungsbewusstsein, Selbstständigkeit, Stolz auf das Erreichte, Selbstreflexion.
Was waren die Reaktionen der Lernenden zu diesem Projektlernen?
Tamara Frei: Die Lernenden äusserten sich sehr positiv über ihre Erfahrungen hinter den Kulissen des Berufsbildungs-Events. Sie erhielten wertvolle Einblicke in die Planung von Veranstaltungen. Die Aufgabenverteilung und die Zusammenarbeit förderten ihr Verantwortungsbewusstsein und ihre praktischen Fähigkeiten, was ihr Selbstvertrauen in ihre beruflichen Kompetenzen stärkte. Sie sind stolz darauf, dass alle Vorbereitungen rechtzeitig abgeschlossen wurden, und freuten sich, dass alles perfekt organisiert war.
Welche Tipps geben Sie KMU, welche in die Lernendenausbildung einsteigen möchten?
Melissa Berber und Tamara Frei: Informieren Sie sich umfassend über die rechtlichen Voraussetzungen und Vorgaben, prüfen Sie den zeitlichen Aufwand und planen Sie genügend personelle Ressourcen für die Betreuung von Lernenden ein.
Die fünf wichtigsten Tipps für Sie zusammengefasst:
- Prüfen von Ressourcen und Möglichkeiten
Bevor Sie in Ihrem Unternehmen Lernende ausbilden, gilt es zu prüfen, ob die internen Strukturen und Ressourcen ausreichend sind, um Lernende angemessen anzuleiten und zu betreuen. Wichtig ist, dass genügend Fachpersonal vorhanden ist, das die Ausbildung der Lernenden begleiten kann. Zudem ist es hilfreich, sich beim kantonalen Amt für Berufsbildung die nötigen Informationen zu besorgen, um die gesetzlichen Vorgaben einhalten zu können. - Ausbildung planen
Nachdem alle rechtlichen Grundlagen geklärt sind und bevor Sie Ihren Lernenden anstellen, ist es wichtig, einen Ausbildungsplan zu erstellen, welcher mit den anderen Lernorten – Berufsfachschule und üK – einhergeht. - Fördern einer positiven Lernkultur
Eine gute Lernkultur ist entscheidend für den Erfolg der Ausbildung. Lernende sollten sich im Unternehmen willkommen fühlen und ermutigt werden, Fragen zu stellen und eigene Ideen einzubringen. Eine offene Kommunikationskultur und regelmässiges Feedback sind dabei sehr hilfreich. - Geschulte Berufs- und Praxisausbilder/innen einsetzen
Wie bereits erwähnt, sind gesetzliche Vorgaben wichtig. Genauso wichtig sind aber auch motivierte und gut ausgebildete Ausbilder/innen für die Lernenden. Wir beide haben den Lehrgang «SVEB-Zertifikat Ausbilder/in – Einzelbegleitung» besucht, um optimal und professionell unser Wissen an die Lernenden weitergeben zu können. Eine Prise Humor mit den Lernenden darf nicht fehlen. - Langfristige Perspektiven bieten
Um die besten Talente zu gewinnen und zu halten, sollten KMU auch langfristige Perspektiven aufzeigen. Dies kann eine Festanstellung nach der Ausbildung, Weiterbildungsmöglichkeiten oder Entwicklungschancen im Unternehmen umfassen.
Durch die Beachtung dieser Punkte können KMU erfolgreich in die Lernendenausbildung einsteigen und somit einen wertvollen Beitrag zur Fachkräftesicherung und zur eigenen Unternehmensentwicklung leisten.
PRAXISSTIPP
Berufsbildungs-Event: Das Netzwerktreffen der Berufsbildungsprofis.