Im klassischen Mentoring kümmert sich ein Dienstälterer um eine noch weniger kundige jüngere Person, damit diese sich in vordefinierten Bereichen schnell und ohne Umwege weiterentwickeln kann. Im Reverse Mentoring funktioniert das genau anders herum: Der Junior coacht den Senior auf jenen Themengebieten, die Jung besser kann als Alt.
Die Diplom-Betriebswirtin Anne M. Schüller, Managementdenkerin, Keynote-Speakerin, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach ist gilt als Europas führende Expertin für das Touchpoint Management und für kundenfokussierte Unternehmenstransformation (Tipp: Ihr nächster Auftritt am WEKA Leadership Forum 2019). Wo sie bei ihrer Arbeit derzeit ein besonderes Augenmerk legt: Wie werden alle fit für die «Next Economy». Und dabei ist auch das Thema Mentoring im Fokus. Aber eben nicht nur das «klassische» Mentoring, sondern auch ein anderer Ansatz: Das «Reverse Mentoring». Dieses ist auch im Betrieblichen Mentoring umsetzbar (Tipp: Lehrgang Betriebl. Mentor/in). Anne M. Schüller sieht hierbei vier wichtige Aspekte, die im Vordergrund stehen:
1. Die Lebenswelten der «Millenials» kennen
Ziel des Reverse Mentorings ist es, die digitale Fitness im Unternehmen insgesamt zu erhöhen, Prozesse und Strukturen zu verjüngen, altgewohnte Denk- und Arbeitsweisen an die Erfordernisse der Zukunft anzupassen sowie ältere Kollegen, Kader und das Topmanagement mit der Lebenswelt der Millennials besser vertraut zu machen. Insofern eignet sich das Reverse Mentoring für Konzerne genauso wie für KMU. Die Grundvoraussetzungen: Zwischen Mentor und Mentee dürfen keine Konkurrenzsituation und auch keine hierarchische Abhängigkeit bestehen. Zuverlässigkeit, Integrität, Offenheit und Ehrlichkeit sind ein Muss. Zudem braucht es Freiwilligkeit auf beiden Seiten verbunden mit absoluter Diskretion. Die Akteure müssen menschlich zueinander passen sowie Vertrauen und Respekt füreinander empfinden. Sie betrachten sich als gleichwertig und begegnen sich auf Augenhöhe.
2. Den Mehrwert für das Unternehmen erkennen
In den meisten Organisationen gibt es einen anhaltenden Lernbedarf in digitalen Belangen. Das hat mit Vorbehalten, mit persönlichem Desinteresse, aber auch mit der rasanten Entwicklung der Digitalwirtschaft und den knappen Zeitbudgets in den oberen Etagen zu tun. Der Dialog zwischen Jung und Alt zu unterschiedlichen Ansätzen und Standpunkten über Generationen und Hierarchien hinweg kann die Unternehmenskultur insgesamt befruchten und das Verständnis füreinander verbessern. Der Wissenstransfer wird optimiert und die Lernpyramide auch mal auf den Kopf gestellt. Zudem wird eine größere Aufgeschlossenheit für Zukunftsthemen erreicht und der digitale IQ im gesamten Unternehmen gesteigert. Werden neben den eigenen Digitalprofis auch Ehemalige in das Programm involviert, finden diese womöglich den Weg zurück ins Unternehmen. Schließlich wirkt sich das Reverse Mentoring positiv auf die Arbeitgeberattraktivität aus und sollte deshalb aktiv vermarktet werden.
3. Den Mehrwert für den Mentor erzeugen
Die Mentoren, die aus dem Kreis der Auszubildenden, Berufseinsteiger und High Potentials rekrutiert werden können, erfahren durch ihren Einsatz eine hohe Wertschätzung. Sie bekommen Sichtbarkeit im Unternehmen, verbreitern ihre fachlichen und zwischenmenschlichen Kompetenzen, erweitern ihr persönliches Netzwerk, gewinnen direkten Zugang zur Unternehmensspitze und pushen damit auch ihren Karriereweg. Sie erlangen Verständnis für die andere Seite und Respekt vor dem, was in früheren Jahren unter ganz anderen Umständen geschaffen worden ist. Ferner erhalten sie detaillierte Einblicke in das klassische Management und lernen ihrerseits vom Mentee. Zudem sammeln sie während ihrer Mentorentätigkeit einen Erfahrungsschatz, der für jede Art von Projektarbeit von Nutzen sein kann. Schließlich helfen sie dabei, eine lernende Organisation aufzubauen.
4. Den Mehrwert für den Mentee im Fokus haben
Natürlich kann man private Internetnutzungsfragen mit den eigenen Kindern besprechen, wenn diese im passenden Alter sind. Im Reverse Mentoring hingegen geht es um den betrieblichen Kontext. Es ist ein sanftes Programm, das gegenüber klassischen Weiterbildungskonzepten viele Vorteilen bietet. So können unter vier Augen auch solche Fragen zur Sprache kommen, die man in einer Trainingssituation vor versammelter Mannschaft nie stellen würde, um sich keine Blösse zu geben. Zudem kann die digitale Medienkompetenz individuell und punktuell verbessert werden. Etwaige Technologieblockaden, die oft auf Unsicherheit basieren, können gelöst, Veränderungsängste abgebaut, festgefahrene Mindsets gelockert und Generationenvorurteile beseitigt werden. Der Mentee kann von der unverstellten Wahrnehmung der jungen Kollegen profitieren und neue Sichtweisen gewinnen. Schließlich kann es auch darum gehen, wie die Millennials geführt werden wollen, um so die eigenen Leadership-Kompetenz zu optimieren.